Im Projekt wird der Einfluss der Klimaerwärmung auf die Höhenverteilung alpiner Pflanzen untersucht. Die Langzeituntersuchungen sollen als Frühwarnsystem für globale Klimaveränderungen dienen.
Das Department für Ökologie, Fachgebiet Geobotanik des Wissenschaftszentrums Weihenstephan für Ernährung, Landnutzung und Umwelt hat am Hohen Brett 2, zwischen Reinersberg und Windscharte sowie am Fagstein je eine Probestelle für dieses Programm eingerichtet.
Das Projekt wird gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft.
Department für Ökologie, Fachgebiet Geobotanik des Wissenschaftszentrums Weihenstephan
Thomas Kudernatsch
Dipl. Forstwirt Thomas Kudernatsch (Projektbearbeitung),
PD Dr. Clemens Abs & Prof. Dr. Anton Fischer (Projektbetreuung)
Fachgebiet Geobotanik, Department für Ökologie, Wissenschaftszentrum Weihenstephan für Ernährung, Landnutzung und Umwelt der TUM, Am Hochanger 13, 85354 Freising
E-Mail: kudernat@forst.tu-muenchen.de; abs@wzw.tum.de
2002 bis 2005
Auswirkungen einer globalen Erwärmung sind insbesondere in Ökosystemen zu erwarten, deren Stoffhaushalt und Artenzusammensetzung durch niedrige Temperaturen begrenzt sind (z.B. arktische/alpine Ökosysteme).
Im Rahmen des Projekts werden kurz- und langfristige Auswirkungen einer Temperaturerhöhung auf die Vegetation alpiner Kalk-Magerrasen (Polster-, Horstseggenrasen) untersucht. Dabei werden zwei sich ergänzende methodische Wege beschritten.
Durch eine Verknüpfung beider Ansätze wird geprüft, ob Elemente langfristiger Vegetationsveränderungen (vgl. 2) durch kurzfristige Erwärmung (vgl. 1) induziert werden können. Findet man in beiden Ansätzen gleichsinnige Effekte, so ist dies einerseits ein Beleg für die ursächliche Beteiligung einer Temperaturerhöhung am langfristigen Vegetationswandel, andererseits eine Bestätigung für die Relevanz der kurzfristigen Beobachtungen für das größere Muster.
Die globale Erwärmung ist ein in Politik und Wissenschaft viel diskutiertes Umweltproblem. Innerhalb des letzten Jahrhunderts erhöhte sich die mittlere Temperatur der Erde um 0,6 0,2 K; für das gerade begonnene Jahrhundert mit einem globalen Temperaturanstieg von 1,4 bis zu 5,8 K zu rechnen (IPCC 2001). Aufbauend auf regionalen Szenarienrechnungen (EGGER 1999) ergibt sich als Schätzung, dass bis zum Jahr 2050 im süddeutschen Raum im Sommer die Temperatur beträchtlich um etwa 4 K, im Winter dagegen nur geringfügig zunehmen wird.
Der globale Klimawandel und speziell die damit verbundene Temperaturerhöhung führt weltweit zur Veränderung von Ökosystemen/Pflanzenbeständen. Auswirkungen sind insbesondere in Ökosystemen zu erwarten, die direkt oder indirekt durch niedrige Temperaturen bestimmt werden (z.B. arktische/alpine Ökosysteme). In den Hochlagen der Alpen, also nahe der Kältegrenze vieler Arten, ist die Abhängigkeit der einzelnen Pflanzen und damit der Vegetation von Klimaparametern stärker und unmittelbarer als in tieferen Lagen. Biotische Faktoren (v.a. Interaktionen zwischen Arten) treten in diesem Klima als vegetationsprägende Komponenten in den Hintergrund, während abiotische Faktoren, insbesondere die Temperatur, immer mehr an Bedeutung gewinnen. Eine Erwärmung, selbst wenn sie deutlich weniger als 5,8 K ausmachen sollte, wird daher alpine Pflanzenbestände aller Voraussicht nach besonders stark betreffen (KÖRNER 1992).
Im Rahmen des Projekts sollen die Auswirkungen einer Temperaturerhöhung auf die Vegetation alpiner Kalkmagerrasen (Polsterseggen-, Horstseggenrasen) mittels zweier Ansätze untersucht werden. Durch (i) Erwärmungsexperimente können kurzfristige Effekte einer Temperaturerhöhung auf Vegetation und Standort untersucht und auch nachgewiesen werden. Wiederholungsaufnahmen auf Quasi-Dauerflächen (ii) dagegen ermöglichen das Aufzeigen von langfristigen, multifaktoriell verursachten Vegetationsveränderungen. Kombiniert man beide Ansätze miteinander (iii), kann – gerade durch ihre Komplementarität – das Verhalten alpiner Pflanzenarten und Ökosysteme bei global change-induzierten Temperaturänderungen optimal untersucht und dargestellt werden.
Durch eine Kombination von Erwärmungsexperimenten mit Wiederholungsaufnahmen können die Schwächen des jeweils komplementären Ansatzes abgemildert werden:
Zum Wiederholungsflächenansatz: Eine Koinzidenz von gemessenen Temperaturanstieg und Vegetationswandel (vgl. z.B. GRABHERR et al. 1994) kann zwar als Indiz, nicht aber als Beweis für eine Ursache-Wirkung-Beziehung gelten (Interkorrelationen zwischen Temperaturanstieg/ Nutzungsrückgang/ N-Depositionen usw.).
Zum Experiment: Die experimentellen Ergebnisse sind kurzfristig und zwangsläufig auf wenige beobachtete Flächen gestützt (zeitliche und räumliche Begrenzung).
Kombination: Findet man jedoch in beiden Ansätzen gleichsinnige Effekte/Ergebnisse, so ist dies einerseits ein Beleg für die Hypothese, dass Klimaerwärmung an den langfristigen Vegetationsveränderungen ursächlich beteiligt ist. Andererseits belegt die Gleichsinnigkeit die Relevanz der kurzfristigen, experimentellen Ergebnisse für ein längerfristiges, großräumiges Muster.
Welche Auswirkungen hat eine induzierte Temperaturerhöhung von ca. 1 bis 2 K auf ausgewählte Pflanzenarten der alpinen Vegetation, speziell deren
Welche Arten „gewinnen", welche Arten „verlieren"?
Haben mögliche „Gewinner" bzw. „Verlierer" gemeinsame Eigenschaften / Merkmale?
Wie ändern sich inner- und zwischenartliche Interaktionen?
Ermöglicht ein Temperaturanstieg die Etablierung von Arten aus tieferen Lagen (Migration) und welche Folgen hat eine Etablierung für die bestehende Vegetation?
Wie verändern sich ausgesuchte Standortparameter (z.B. Wassergehalt, Nährstoffverfügbarkeit)?
Lassen sich diese Veränderungen in einen Zusammenhang mit den beobachteten Vegetationsveränderungen bringen?
Können in verschiedenen Pflanzengesellschaften/Ökosystemen vergleichbare Prozesse induziert werden?
Können langfristige Vegetationsveränderungen (Änderungen der floristischen Zusammensetzung) in der alpinen Rasenstufe der Nördlichen Kalkalpen beobachtet und nachgewiesen werden?
Kann der beobachtete Vegetationswandel durch Änderungen der klimatischen Situation (v.a. Temperaturanstieg) erklärt werden ( Nutzung der Standortweiserfunktion der Vegetation, Korrespondenzanalyse mit Klimaparametern)?
Elemente der durch Zeitvergleich dokumentierten Vegetationsveränderungen lassen sich durch kurzfristige Erwärmung und/oder Einbringen von wärmebedürftigen Arten induzieren.
Die Untersuchungen werden in der alpinen Stufe des Nationalparks Berchtesgaden durchgeführt. Als Untersuchungsregion kommt v.a. der nordöstliche Teil des Nationalparks (Bereich Hohes Brett; 2.340 m ü. NN bis Kahlersberg; 2.350 m ü. NN) in Frage.
Wesentliche Vorteile der Region sind eine fundierte Datengrundlage (Vielzahl historischer Vegetationsdokumente; LIPPERT 1966, HERMANN et al. 1988), eine gute Erreichbarkeit (Anbindung an Forststraßen/ Bergbahn) und das Vorhandensein von Unterkunftsmöglichkeiten.
Dominierende Vegetationseinheiten in der alpinen Stufe sind, je nach herrschenden Standortbedingungen, alpine Rasen sowie Schutt- und Felsspalten-Gesellschaften. Die im Rahmen des Projekts geplanten Untersuchungen beschränken sich auf alpine Kalk-Magerrasen verschiedener Entwicklungsstufen (Klasse Seslerietea). Da der Polsterseggenrasen (Caricetum firmae) und der Blaugras-Horstseggenrasen (Seslerio-Caricetum sempervirentis) bezüglich ihrer Flächenausdehnung die zwei wesentlichen Ökosysteme der alpinen Rasen darstellen, werden die Untersuchungen gezielt im Komplex dieser Pflanzengesellschaften durchgeführt
In der Literatur wird eine Vielzahl verschiedener Methoden für eine experimentelle Erwärmung beschrieben, wobei zwischen aktiven und passiven Systemen unterschieden wird (für einen Überblick vgl. SHAVER et al. 2000). Da in alpinen Ökosystemen eine aktive Erwärmung nicht in Frage kommt (mangelnde Infrastruktur), werden im Rahmen des Projekts die Umgebungstemperatur und die Bodentemperatur mittels open top chambers (OTCs) passiv erhöht. Die im Verlauf des International Tundra Experiment (ITEX; vgl. HENRY & MOLAU 1997) bereits umfangreich getesteten OTCs erwiesen sich als günstig, da sie (i) einfach, kostengünstig und widerstandsfähig sind, (ii) die Temperatur signifikant erhöhen und (iii) ungewollte ökologische Effekte (verglichen mit geschlossenen Systemen) auf ein Minimum beschränken (MARION et al. 1997, ERSCHBAMER 2001).
OTCs (vgl. Abb.) sind oben offene, transparente Kunststoff-Kammern mit nach innen geneigten Wänden, die – aufgrund ihrer Wirkung als Strahlenfalle und ihrer Windschutzwirkung – die Umgebungstemperatur der Pflanzen und die Temperatur des Oberbodens während der Vegetationsperiode im Mittel um 1 bis 2 K erhöhen (MARION et al. 1997). Angestrebt werden OTCs aus UV-durchlässigem, 3 mm dicken Acrylglas (BARLO XT UVT; BARLO plastics) mit einer quadratischen Grundfläche von 1 m² und einer Höhe von 40 cm. Die Seitenwände weisen einen Neigungswinkel von 70° auf (erhöhte Transmission der kurzwelligen und Reflexion der langwelligen Strahlung). Um „Kammer"-Effekte möglichst zu vermeiden, werden die OTCs in ca. 2 cm Abstand vom Boden installiert (verbesserte Be-/Entlüftung, verminderte Isolationswirkung für die Zoozönose).
Die Analyse basiert auf einem Vergleich von manipulierten OTC-Flächen mit nicht manipulierten Kontrollflächen. Auf diese Weise können kurzfristige Effekte einer Temperaturerhöhung auf Vegetations- und Standortparameter untersucht und quantifiziert werden. Das geplante Experiment ermöglicht eine Analyse kurzfristiger Effekte einer induzierten Temperaturerhöhung auf ausgewählte Arten und deren Eigenschaften (Häufigkeit, Wachstum, Reproduktion, Ausbreitung, Keimung und Etablierung, Produktivität), auf die Interaktionen innerhalb und zwischen den Arten (v.a. Konkurrenz) sowie auf ausgesuchte Standortparameter (Nährstoffhaushalt, Wassergehalt).
Da im Rahmen des Experiments eine eingehende populationsbiologische Untersuchung aller vorhandenen Arten nicht möglich ist, werden gezielt Schlüssel-Arten alpiner Kalk-Magerrasen ausgewählt und näher untersucht. Da sich die alpine Vegetation im Wesentlichen aus Graminoiden (Süßgräser, Seggen), Zwergsträuchern, Polsterpflanzen und mehrjährigen krautigen Arten zusammensetzt (KÖRNER 1999), sollen mindestens zwei Vertreter jeder Wuchsform populationsbiologisch näher untersucht werden.
Arten, die diese Anforderungen erfüllen, sind beispielsweise Sesleria albicans, Agrostis alpina, Carex firma und Carex sempervirens (Graminoide), Dryas octopetala und Helianthemum nummularium (Zwergsträucher), Silene acaulis und Saxifraga caesia (Polsterpflanzen) sowie Ranunculus alpestris/montanus und Primula auricula/minima (mehrjährige Krautige).
Durch Wiederholungserhebungen in der alpinen Stufe konnte ein Aufsteigen von Arten im Höhengradienten nachgewiesen werden; als Ursache wurde die globale Erwärmung vermutet (GRABHERR et al. 1994). Um das Etablierungspotential von Tieflagen-Arten bei einer Temperaturerhöhung zu untersuchen, werden in die Hälfte der Versuchsflächen gezielt Arten aus tieferen Lagen eingesät. Zur Einsaat werden Pflanzenarten unterschiedlicher Lebensformen gewählt, die in den Blaugrasgesellschaften der hochmontanen und subalpinen Stufe verbreitet sind. Diese Arten sind vergleichsweise „wärmeliebend" und fehlen deshalb heute in den Kalk-Magerrasen der alpinen Stufe. Eine Temperaturerhöhung sollte diesen Arten allerdings eine Ausbreitung über die Obergrenze ihres aktuellen Verbreitungsgebietes hinaus ermöglichen (Migration). In die Versuchsflächen des Polsterseggenrasens werden zusätzlich strukturgebende Arten des meist tiefer gelegenen Horstseggenrasens eingesät.
Um die Effekte einer Temperaturerhöhung unter verschiedenen Standortbedingungen vergleichen zu können, werden in zwei verschiedenen Pflanzengesellschaften/Ökosystemen Versuchsflächen eingerichtet ( Polsterseggenrasen, Horstseggenrasen). Der Polsterseggenrasen und der Horstseggenrasen stellen bzgl. Ihrer Flächenausdehnung die zwei wesentlichen Ökosysteme der alpinen Rasen dar. Einerseits sind sie edaphisch/mikroklimatisch different (flachgründige Böden/exponierte Lagen versus tiefgründige Böden/nicht exponierte Lagen), andererseits liegt die Höhenverbreitung des Polsterseggenrasens höher, da die bestimmenden Standortfaktoren mit zunehmender Höhe flächenhaft bedeutsamer werden.
Während einerseits innerhalb einer Vegetationseinheit mittels eines varianzanalytischen Ansatzes auf Unterschiede zwischen manipulierten und nicht manipulierten Flächen getestet wird, soll andererseits zwischen den Vegetationseinheiten in Form einer Metaanalyse überprüft werden, ob in beiden Ökosystemen durch Temperaturerhöhung vergleichbare Prozesse induziert werden können.
Historische Vegetationsaufnahmen sind Dokumentationen der floristischen Zusammensetzung von Pflanzenbeständen zum Erhebungszeitpunkt und somit auch „Spiegel" eines zurückliegenden Umweltzustandes. Ändern sich die Umweltbedingungen im Laufe der Zeit, kann es zu Änderungen in der Artenzusammensetzung von Pflanzenbeständen kommen. Durch einen Vergleich von historischen mit aktuellen Vegetationsaufnahmen können daher sowohl die im Vergleichszeitraum abgelaufenen langfristigen Vegetationsveränderungen aufgezeigt als auch – die Standortweiserfunktion der Vegetation nutzend – Hypothesen zu deren Ursachen aufgestellt werden (RÖDER et al. 1996). Sorgfältig dokumentierte, historische Vegetationserhebungen stellen somit – gerade für die global change-Forschung - eine Datengrundlage von unschätzbarem Wert dar (vgl. KÖRNER 1999).
Im Bereich des Nationalparks Berchtesgaden steht eine große Anzahl an vegetationskundlichem Datenmaterial zur Verfügung. So wurden dort in der Vergangenheit allein in der alpinen Stufe ca. 1.000 Aufnahmeflächen pflanzensoziologisch erfasst (LIPPERT 1966, HERMANN et al. 1988) und ihre Positionen in Karten dokumentiert. Im Rahmen des Projekts werden aus diesem Datenpool Vegetationsaufnahmen als Referenzflächen ausgewählt und wiederholt vegetationskundlich erhoben (und zwar möglichst mit der ursprünglichen Methodik). Ein wesentliches Problem des methodischen Ansatzes ist, dass eine exakte Lokalisierung der historischen Aufnahmen im Gelände oft nicht möglich ist (z.B. ungenauer Karteneintrag, schwierige Orientierung). Dennoch kann – nach einer sorgfältigen Flächenrekonstruktion – eine Zweiterhebung auf einer relativ großen Zahl von fast identischen „Quasi-Dauerflächen" erfolgen (vgl. SCHWABE et al. 1989). Bei der Wahl der Wiederholungsflächen wird die vorhandene Vegetationsdatenbank und das GIS des Nationalparks genutzt, um lokalisierbare, erreichbare und vegetationskundlich typische Flächen (Stratifikation der Aufnahmen nach Vegetationstypen; von Interesse v.a. historische Aufnahmen der Polster- und Horstseggenrasen) auszuwählen.
Die Auswertung der Aufnahmekollektive findet auf floristischer sowie standörtlicher Ebene statt. Die Analyse erfolgt dabei einerseits durch klassische vegetationskundliche Verfahren (Tabellenarbeit, Zeigerwerte nach ELLENBERG), andererseits durch geeignete Verfahren der multivariaten Statistik (z.B. CCA, Monte Carlo-Test, Mantel-Test).
Um die Aufnahmeflächen in Zukunft für eine langfristige ökosystemare Umweltbeobachtung nutzen zu können, werden diese dauerhaft markiert (Magnete) und die Eckpunkte mit GPS eingemessen. Die exakten Flächendaten (Koordinaten) werden in die Datenbank des Nationalparks Berchtesgaden integriert und sind somit dauerhaft verfügbar.